Als der Kardinal zum Orgeltisch kam
Szenen aus dem über vier Jahrzehnte langen Wirken des Würzburger Domorganisten Paul Damjakob an der Kathedralkirche Sankt Kilian
Würzburg (POW) Am 31. Dezember 2004 tritt Domorganist Paul Damjakob nach fast 43 Jahren Dienst an der Kathedralkirche zu Würzburg in den Ruhestand. Feierlich verabschiedet wird er am Sonntag, 9. Januar 2005, bei einem Festgottesdienst mit Bischof Dr. Friedhelm Hofmann um 10 Uhr. Am Nachmittag gibt er um 16 Uhr ein Abschiedskonzert. 43 Jahre an der Domkirche sind nicht in wenige Zeilen zu bringen. Einige Blitzlichter des Wirkens des außergewöhnlichen und rekordverdächtigen Domorganisten mögen die Jahrzehnte beleuchten.
An der Neumünsterorgel
Am 1. April 1962 tritt Paul Damjakob seinen Dienst als Domorganist in Würzburg an. Doch der Dom ist nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg noch Baustelle. Damjakobs erste Jahre in Würzburg gehören ganz der Klais-Orgel von 1950 im Neumünster, der damaligen Bischofskirche. Knapp sieben Jahre spielt er dort, bis die neue Orgel des Kiliansdoms erklingt. Damjakob baut eine sehr emotionale Beziehung zur Grabeskirche der Frankenapostel auf: Seine ersten Jahre als Domorganist in Würzburg, seine Hochzeit im Neumünster - prägende Jahre eines jungen Musikers. „Ich war sehr jung und bei den Klerikern ein Außenseiter“, erzählt er. Dompropst Dr. Vinzenz Fuchs stärkt ihm den Rücken. Wie ein Vater verhält er sich zu Damjakob, ist streng und gerecht. Fuchs freut sich über Verlobung und Heirat von Paul und Roswitha Damjakob. „Es wird Zeit, dass wir für Damjakob eine passende Frau finden“, hatte Fuchs zuvor immer wieder gesagt. Der Dompropst wird zur starken Stütze Damjakobs beim Orgelbau im Kiliansdom.
Orgelbau im Kiliansdom zu Würzburg
Damjakob ist von 1962 bis 1969 voll mit der Planung der Würzburger Domorgel beschäftigt. Er erreicht, dass das Domkapitel zwei Modelle im Maßstab 1:1 bauen lässt. Immer wieder trägt er seine Wünsche den einzelnen Domherrn vor. Die Diskussionen gehen hoch. Die einen wollen die Orgel vorne im Chorraum, die anderen hinten an der Westseite des Doms. Domkapitular Dr. Theodor Kramer sagt beispielsweise: „Die Orgel kommt da vorne nicht hin. Nur über meine Leiche.“ Es kommt zum entscheidenden Lokaltermin. Dabei sind Bischof Dr. Josef Stangl, die Herren des Domkapitels und Domkapellmeister Domvikar Franz Fleckenstein. Die alles entscheidende Frage lautet: Wohin kommt die Orgel? Die Debatte ist heftig. Dompropst Fuchs muss die Herren zur Ordnung rufen und um Mäßigung bitten. Musikreferent Domkapitular Dr. Richard Schömig hätte am liebsten Altar, Kanzel, Orgel und Kathedra zu einem Möbelstück vereint, erzählt man sich. Domkapitular Wittig fragt: „Im ganzen Bistum stehen die Orgeln hinten, warum muss sie im Dom vorne stehen?“ Schömig entgegnet: „Die Dorfkirchen sind kein Maßstab für den Dom.“ Zwischenrufe: „Macht doch, was ihr wollt.“ Ein Herr schmeißt seine Unterlagen auf den Boden, als man sich für die Rückwand des Domes als Orgelstandort entscheidet. Domvikar Fleckenstein rennt danach schnell zu Damjakob, der noch im Marmelsteiner Kabinett wohnt. Voll Freude stürmt er ins Zimmer des Domorganisten und verkündet: „Die Orgel kommt nach hinten.“ Damjakob ist happy über den für ihn idealen Standort. Ein wunderbarer Platz für die Domorgel. Von hier erreicht sie auch die Menschen im Querhaus, ein akustisches Meisterwerk. Heute sagt der Domorganist: „Es wäre ein Verbrechen gewesen, die Orgel aus ideologischen Gründen woanders hin zu stellen.“ Und Domkapitular Schömig ruft er nach: „Ich hoffe, dass sich Prälat Schömig doch in der Ewigkeit freut, dass die Domorgel hinten steht.“ Am 2. Februar 1969 weiht Bischof Stangl die neue Domorgel.
Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 1971 bis 1975 - Die Würzburger Synode
23. November 1975: Das letzte Pontifikalamt der Würzburger Synode ist gerade beendet. Synodenpräsident Julius Kardinal Döpfner zieht festlich aus dem Kiliansdom. Voller Freude verlässt Domorganist Paul Damjakob wenige Minuten später die Domkirche, im Gedanken immer noch Max Regers berühmter Choralfantasie „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ verhaftet, die er den Synodalen zwei Tage vorher zum Abschied spielen durfte. Eine wahre Sternstunde für Damjakob. Als Organist der Synode hatte er außerdem alle werktäglichen Sitzungen mit einer Orgelmeditation eingeleitet. Der stets gleiche Satz des Kardinal klingt nach: „Wir danken dem Herrn Domorganisten ....“ Auf dem Kiliansplatz ruft Dommesner Raps Damjakob zu: „Schnell zurück! Der Kardinal kommt an den Orgelspieltisch zusammen mit Bischof Josef und Fotograf Heer. Sekretär Obermaier hat in der Sakristei angerufen.“ Damjakob läuft so schnell er kann zum Spieltisch hoch. Seine Frau Roswitha folgt ihm, rückt rasch noch einige Noten zurecht und wischt mit dem Staublappen über die Tasten. Wenige Minuten später kommt der Kardinal zusammen mit dem Würzburger Bischof Dr. Josef Stangl vom Sankt Burkardus-Haus in den Dom zurück und geht hoch zur Orgel. Döpfner fragt nach den Eltern der Frau Damjakobs: „Lebt euer alter Vater noch? Ja? Das hätte ich gar nicht zu hoffen gewagt!“ Damjakob präsentiert dem Kardinal die spanischen Trompeten des V. Manuals und das Generaltutti. Dann fragt Döpfner nach den Gästebuch und schreibt hinein: „Zum Abschluss der Gemeinsamen Synode herzlichen Dank. 23. 11. 1975.“
Bischöfe und Domherren
Paul Damjakob hat unter vielen geistlichen Herren gedient. Sechs Domdekane: Kempf, Kötzner, Wittig, Schömig, Brander, Witzel. Fünf Dompfarrer: Kötzner, Schultes, Brander, Bauer, Witzel. Vier Generalvikare: Wittig, Schlembach, Brander, Hillenbrand. Drei Dompröpste: Fuchs, Kempf, Bauer. Drei Bischöfe: Stangl, Scheele, Hofmann. Wer kann da mit Damjakob konkurrieren?
Bischof Dr. Josef Stangl
„Einmal muss Schluss sein! 85 Register für die neue Domorgel reichen!“ Domkapitular Schömig hat langsam genug von Damjakobs Sonderwünschen beim Orgelbau im Kiliansdom. Damjakob aber will unbedingt das 86. Register. Er fasst sich ein Herz, ruft Schwester Benita im Bischofshaus an und bittet, Bischof Josef sprechen zu dürfen. Nach einigen Augenblicken klickt es in der Leitung. Ein fragendes „Jaaa“. Damjakob: „Entschuldigen Sie, Excellenz. Es geht um ein zusätzliches Register für die neue Domorgel.“ - „Haben Sie denn schon mit Domkapitular Schömig gesprochen?“ - Ja, Excellenz. Aber da bin ich fast rausgeflogen. Ich habe keinen Mut mehr, wegen eines weiteren Registers zu ihm zu gehen.“ - „Ist dieses Register denn künstlerisch notwendig?“ - „Die Frage der Notwendigkeit wird auch unter Künstlern kontrovers diskutiert. Aber erlauben Sie mir den Vergleich, Excellenz: Ich kann einen Sonntagsbraten ganz normal servieren. Ich kann ihn aber auch mit einem Sträußchen Petersilie schmücken, das im Vergleich zu den Kosten für den Braten nur eine kleine Summe ausmacht, dem Ganzen aber noch das I-Tüpfelchen aufsetzt.“ Der Bischof schweigt: „Ich denke über den volkstümlichen aber sinnenhaften Vergleich nach. Was kostet denn das eine Register?“ - „Die Orgel ohne Gehäuse kostet 750.000 Mark, das 86. Register 7.500 Mark.“ - „Ja wenn das so ist, dann können Sie meine Zustimmung an die entsprechenden Stellen weitergeben.“ - „Excellenz, ich bin überglücklich. Darf ich eine Notiz unseres Gesprächs machen?“ Damjakob notiert: „Gespräch mit Bischof Josef. Zusätzliches Register scheint berechtigt.“ Voller Freude geht er zu Domvikar Fleckenstein: „Der Bischof hat das 86. Register genehmigt.“ Und die Zahlen stimmen so auch: Der 86. Bischof von Würzburg genehmigt das 86. Register der Domorgel höchstpersönlich.
Bischof Dr. Paul-Werner Scheele
Die erste Osternacht für Bischof Scheele 1980 im Kiliansdom. Die klanglich moderne, symbolhaft das „Neue Lied“ darstellenden Osternacht-Orgelversetten Damjakobs gefallen dem neuen 87. Bischof von Würzburg: „Jawohl, zum Neuen Feuer und Neuen Wasser, zum Neuen Sauerteig und Neuen Lied der neuartige Orgelklang.“ Als Damjakob Bischof Scheele sagt, dass er dieses „Neue Lied“ auf einer Langspielplatte seiner Reihe Dokumentationen herausgeben wolle, reagiert der Bischof prompt: Dann wolle er aber nochmals neu die Solomelodien im geschlossenen Dom auf Band singen. Es sei ihm irgendwo ein „Kratzer“ unterlaufen, den er so nicht stehen lassen könne, schon gar nicht zur Veröffentlichung. Noch in der Osterwoche ruft Bischof Scheele abends an, ob es jetzt ginge. „Selbstverständlich, Excellenz“, antwortet der Domorganist. Auf der Orgelempore stellt sich dann der Bischof vors Mikrophon, Damjakobs Frau bedient das Aufnahmegerät, und Damjakob fügt an der Hauptorgel die Zwischenmodulationen ein. Vier bis fünf Aufnahmen erfolgen. Danach hat Damjakob genügend „Bischofssound“ auf Band. Anschließend zeigt der Domorganist dem Bischof die Domorgeln. Nach der Präsentation legt Bischof Scheele die Hand auf Damjakobs Schulter und sagt mit warmer Stimme: „Welch ein Instrument, und dann gottlob der passende Könner.“ Der Übungsabend mit dem Bischof hat sich gelohnt. Die Osternacht-Versetten mit Bischof Scheele sind festgehalten: auf der CD CM 213 Ostern - ohne „Kratzer“ in der Stimme.
Bischof Dr. Friedhelm Hofmann
Etwas fehlt Paul Damjakob noch am Ende seiner fast 43-jährigen Dienstzeit: ein Foto mit Bischof Dr. Friedhelm Hofmann am Orgeltisch im Kiliansdom. Der Bischof wird dem Wunsch sicher nachkommen, zumal sich Domorganist und Bischof kurz vor Weihnachten 2004 unter vier Augen gesprochen haben und dabei auch dieser Wunsch gefallen sein dürfte. Bischof Hofmann wird den verdienten Würzburger Domorganisten am Sonntag, 9. Januar 2005, bei einer festlichen Eucharistiefeier um 10 Uhr im Kiliansdom verabschieden.
Bischof Friedhelm machte den Besuch in Damjakobs Privatwohnung am 21. Januar 2006 wahr. Das Ehepaar empfing ihn gebührend mit einem Musikprogramm an der Orgel und am Bösendorfer Flügel (Roswitha Damjakob spielte Mozart und Chopin).